Freitag, 1. September 2017

15. Christoph Mancke






Wächter
Stolz, geradlinig und geheimnisvoll wächst die hohe, auf wenige geometrische Umrisse reduzierte Figur von Christoph Mancke empor. Der Bildhauer verzichtet konsequent auf jegliche Details oder Hinweise auf Menschliches und erschafft für den Eingang zum Kanonengang eine rostige freistehende Stahlplastik, ähnlich einem schlichten Pfeiler mit kubischem Kapitel, eine säulenartige Gestalt in Korrespondenz zur umgebenden Architektur und zu den dahinter befindlichen rundbogigen Eingängen. Die allansichtige Gestalt, die man umrunden kann, passt sich farbig der Umgebung an, einem realen Wächter gleich, der schweigsam und ausdauernd seinen Posten einhält.
Der suggestive Name „Wächter“ lässt den Betrachter Assoziationen und Vergleiche mit anderen, bekannten Wächterfiguren der Kunst oder der Weltliteratur anstellen: Bereits im Alten und Neuen Testament wird von Wächtern des Himmels und Boten, später von Engeln und Erzengeln gesprochen, die den Menschen Botschaften Gottes übermitteln, wie in der Ankündigung der Geburt Jesu an die Jungfrau Maria. Doch auch die fernöstliche Welt kennt Wächter in Form von Soldaten, wie beispielsweise die berühmte Terrakotta-Armee aus Xi’an, die das Grab des ersten Kaisers Chinas, HuángDi, schützt. Aus der griechischen Welt der Antike ist die Figur der Sphinx überliefert, eines Mischwesens aus Löwe und Frau, die vorbeikommenden Reisenden Rätsel aufgibt, von deren Lösung Leben oder Tod abhängen. Der ägyptische Sphinx oder chinesische Wächterfiguren in Löwengestalt sind weitere, beliebte Repräsentationen einer übermenschlichen Macht, deren Rolle es zumeist ist, das Reich der Normalsterblichen vom Reich der Herrscher und der Himmelssöhne zu trennen und zu bewachen. Nicht zuletzt sind es aus dem Bereich des Militärs oftmals Soldaten, die regelmäßig Wachdienste übernehmen, wie die päpstliche Garde der Schweizersoldaten beispielsweise oder die noch bekannteren britischen Queen’s Guards, die am Eingang des Buckingham Palace, zur Erquickung zahlreicher Touristen, wie versteinert mimik- und regungslos verharren.
Die Figur von Christoph Mancke enthält keines dieser narrativen Details, sie erzählt keine Geschichte, die anhand von Attributen nachvollziehbar werden könnte. Sie präsentiert auch nicht die allegorische Gestalt eines Soldaten oder Wächters, erhöht auf einem Sockel, und sie weist darum auf keine bestimmte Person hin. Sie steht ebenerdig, aufrecht gehalten von einer dünnen Plinthe. Trotz ihrer Höhe vermittelt sie den Anschein, Teil der realen Welt zu sein, konfrontiert jedoch aufgrund ihrer Höhe den Betrachter mit ihrer majestätischen, enigmatischen Präsenz. All das gehört zum künstlerischen Gesamtkonzept von Manckes Werk, der Gesetzmäßigkeiten des Lebens thematisiert, befreit von Zwang und Uniformität, denn jede seiner Arbeiten ist ihrer Beschaffenheit und Aufstellung wegen, in Relation mit dem Aufstellungsort, einzigartig, individuell, nicht angepasst. Es steckt eine Absicht dahinter, die Intention nämlich, ein offenes Kunstwerk und keine Naturabbildung zu erschaffen, die die Vorstellungskraft des Betrachters einnehmen und nur eine einzige Sinngebung erlauben würde. Stattdessen sind nur sensible Beobachtung und langes Betrachten möglich, Nachsinnen und Reflexion sowie die Berücksichtigung der Gesamtwirkung der Stahlplastik im offenen Raum, ihre Alleinstellung und Isolation inmitten des Kanonengangs. Kommunizieren kann sie nur über das Medium des Materials, des Stahls, über die glatte Anspannung der Oberflächen, den präzisen Linienverlauf ihrer Konturen oder über die samtige Wirkung der rostigen Patina. Sie wirkt naturverbunden, rau und schlicht – vielleicht doch ein Hinweis auf die Thematik der formreduzierten Plastik: die ehemaligen preußischen Soldaten, Bewacher und zugleich Verteidiger der ehemaligen Militärgarnison, die im 19. Jahrhundert bis zu 1500 Mann beherbergt hatte, abwesende Gestalten und Angehörige der Vergangenheit in der heutigen Zeit, von denen aber gerade die Konstruktion der Festung überall Erinnerungen bereithält.
 
[Autor: Suzana Leu]



Kontakt:
Christoph Mancke
www.mancke.de
1953 geboren in Schönecken/Eifel
1972-1977 Studium der Bildhauerei an der FH Dortmund